Ressler, Kardinal und Hure. Die Geschichte eines Gemäldes, Edition Splitter, Wien 2022, 256 Seiten, broschiert, 28 Euro, ISBN 978-3-950-44047-8

© Verlag Österreich

Der Verfasser ist als Sachverständiger ein ausgewiesener Kunstexperte und entfaltete seine Expertise in jahrzehntelanger Tätigkeit vorerst im Dorotheum und anschließend als Mitbegründer und Teilhaber beim Auktionshaus Kinsky. Im Jahre 2014 gründete er das Auktionshaus Ressler (vorerst) mit seiner Frau als einziger Partnerin. Sein umfassendes Fachwissen verwertet er nunmehr nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch im Kontext der Literatur. Er verfasste seit 2001 mehrere Standardwerke über Markt und Wert der Kunst, weiters über das Schiele-Bild „Mädel mit dem Hut“, eine Parabel auf Kunst und Politik, Biographien über Leherb, Soshana und Mikl sowie eine Biographie eines fiktiven Künstlers und über das Trügerische in der Kunst „Die Irreführung“. Besonders spannend ist die zuletzt erschienene Novelle „Die Verleumdung“ über die Geisteshaltung der Justiz in der Donaumonarchie. 

Wie bereits in dieser Novelle beleuchtet der Autor im gegenständlichen Werk an Hand der Historie des Gemäldes von Edmund Schwarz „Kardinal und Hure“ die kriminellen Methoden im Kunsthandel, fokussiert auf das Verhalten der österreichischen Behörden und der politischen Repräsentanten. Die Republik Österreich hat nämlich vielfach Eigentum jener vereinnahmt, die schon vorher von den Nationalsozialisten bestohlen worden waren. 

 

Da nicht nur mir bekannt ist, dass der Autor dieses Buches betreffend die Problematik der Restitution ein kompetenter Fachmann ist, startet für mich das Buch mit der realistischen Darstellung einer Vernissage, nämlich den banalen Dialogen der Besucher, welche vor allem das Buffet, small talk abseits der Kunst über die Outfits der Besucher und den Klatsch umkreist, den man mithört, und nicht die künstlerische Position der ausgestellten Werke. 

 

Der Autor rezipiert den Werdegang des Künstlers Edmund Schwarz und seine Bekanntschaft mit dem bereits berühmten Maler Gustav Klimt. Die Werke des Edmund Schwarz werden von der Allgemeinheit als zu obszön und abartiger Pornographie angenähert betrachtet. 

 

Der Autor tarnt die tatsächlichen Namen der handelnden Personen und kritisiert die Republik Österreich berechtigter Weise wegen der von ihr eingenommenen Opferrolle. Die Republik hat aber tatsächlich die wahren Eigentümer bestohlen, indem sie ihnen das bereits zuvor von den Nazis Geraubte listig und kaltblütig abgepresst hat. Ressler verdeutlicht das an Hand des Schicksals der Familie Obrowsky und entwirft ein bedrückendes Sittenbild der damaligen Zeit. Er rezipiert damit das Schicksal des Augenarztes Obrowsky und seiner bedeutenden Sammlung, fokussiert auf den Künstler Edmund Schwarz, der 1918 gestorben ist. Obrowsky erkannte bereits 1938 die Zeichen der Zeit und wollte sich daher rasch von seiner Sammlung trennen, um ins Ausland zu flüchten, denn für Juden war es ja unzulässig, Vermögenswerte ins Ausland zu transferieren. Er suchte dazu jene Galerie auf, mit der er jahrelang Geschäftsbeziehungen hatte, und war bestürzt, als er nicht „seine“ Galeristin antraf, sondern einen Herrn Franz Welser. Zu ihm ergänzt der Autor, dass er schon 1933 in die NSDAP aufgenommen worden war und zum Zeitpunkt des Anschlusses 1938 die Galerie der Vorbesitzerin abgepresst hat. Franz Welser nützte daraufhin die Notlage von Obrowsky hemmungs- und schamlos aus und erwarb die Sammlung, darunter das Bild „Kardinal und Hure“, um einem deutlich unter dem Wert liegenden Betrag. 

 

Nach 1945 beauftragten die in Amerika lebenden Kinder von Obrowsky einen Wiener Rechtsanwalt, nach dem Vermögen ihrer Eltern zu forschen. Franz Welser hatte sich 1945 von Wien nach Salzburg abgesetzt, und für die Wiener Galerie wurde ein einstweiliger Verwalter bestellt, der gegen Franz Welser wegen missbräuchlicher Bereicherung, gefährlicher Drohung und schwerer Erpressung bei der Staatsanwaltschaft Wien Strafanzeige erstattet hatte. Der Ariseur Franz Welser pervertierte den Sachverhalt dahingehend, dass er behauptete, mit Obrowsky bis zuletzt in bestem freundschaftlichem Einvernehmen verblieben gewesen zu sein. Nach Abschluss der Ermittlungen wurde das Strafverfahren gegen Franz Welser mit der Begründung, dass sich seine Verantwortung in Ermangelung von Aufzeichnungen und wegen der Unmöglichkeit, wichtige Zeugen zu vernehmen, nicht widerlegen ließ, eingestellt. 

Faktum ist, dass die österreichischen Behörden kein Engagement zeigten, während es im Vergleich dazu der von der US-Besatzungsmacht installierten Institution Reparation, Deliveries & Restitution Division gelungen ist, einen Teil der wertvollen Sammlung von Obrowsky sicherzustellen. Der Rechtsanwalt der Familie Obrowsky brachte einen Rückstellungsantrag gegen Franz Welser ein. Dieser erklärte, er sei damit einverstanden, dass einige Bilder – darunter „Kardinal und Hure“ – an den Antragsteller gegen Rückerstattung des Kaufpreises von 8.000 Reichsmark ausgefolgt werden könnten. Die Kommission fällte das damals übliche salomonische Urteil, dass nur die Hälfte der Werke an die Erben zurückzustellen sei, darunter das Werk „Kardinal und Hure“. Der Status des diesem Buch den Titel gebenden Werkes „Kardinal und Hure“ war, dass die Kommission aus kaum verhohlener Abscheu angesichts der Darstellung, die Erben aus Ratlosigkeit über den Kunstgeschmack ihres Vaters und der Beklagte Franz Welser aus kommerziellen Gründen („ein Bild für den Keller“) zu dieser Entscheidung gekommen sind. Ergänzend hält der Autor noch fest, dass das noch offene Verfahren gegen Franz Welser vertagt worden war, wie Gerichte immer dann handeln, wenn sie Zeit gewinnen wollen. Ich schließe mich als (emeritierter) Rechtsanwalt der Meinung des Autors an. 

 

Elias Obrowsky, einer der Erben, versuchte in der Folge das Bild „Kardinal und Hure“ zu verwerten, allerdings erhielt er von der Ausfuhrabteilung des Bundesdenkmalamtes eine negative Auskunft und war darüber so geschockt, dass er keinen Antrag auf Ausfuhrbewilligung stellte. Ressler charakterisiert den Hofrat der Ausfuhrabteilung mit dessen Lieblingsspruch „den Juden geht’s nur ums Geld“, während die Österreicher primär kulturaffin seien. Das Resultat dieser manifestierten Gesinnung der Beamten bis hinauf zum Minister ist, kein Interesse daran zu haben, dass die ehemaligen jüdischen Eigentümer ihr Vermögen wieder zurückerhalten sollten. Um sich aber als Rechtsstaat gerieren zu können, wurden die Rückstellungsbehörden als komplizierte „Zermürbungsmaschinerien“ appliziert. 

 

In den 1960iger Jahren entwickelte sich ein junger Rechtsanwalt, Ernst Friedrich Hammer, zum fanatischen Sammler von Edmund Schwarz. Das Gemälde „Kardinal und Hure“ wurde nach dem Erwerb durch das Belvedere in dessen Kellerräumlichkeiten verwahrt. Vorerst blieben alle Bemühungen des fanatischen Sammlers erfolglos, bis er einen Ansatzpunkt fand, um das von ihm heiß begehrte Werk „Kardinal und Hure“ doch vom Belvedere erwerben zu können. Er schrieb an Kardinal Innitzer, dass man diesen als den Kardinal in Umarmung mit der Hure erkennen würde und damit sei nicht nur seine Ehre gekränkt, sondern die der gesamten katholischen Kirche, eine Beleidigung für das katholische Österreich. Damit erreichte er, dass dieses Werk sofort aus der großen Jubiläumsausstellung für Edmund Schwarz abgehängt wurde und wieder im Keller des Belvedere verschwand. 

 

Der junge Rechtsanwalt wollte diesen Edmund Schwarz unbedingt erwerben, er entfaltete zahlreiche Bemühungen, um in den Besitz dieses Werkes zu kommen. Im Tauschweg hat er dann tatsächlich „Kardinal und Hure“ vom Belvedere erhalten. 

 

Die damals im Amt befindlichen österreichischen Regierungen vertraten vorerst den skandalösen Standpunkt, keine Entschädigung zahlen zu müssen, weil Österreich ein besetzter Staat gewesen sei und daher gar nicht existiert habe.  

1990 beschloss die österreichische Regierung einen Fonds von 1,5 Milliarden Schilling für jüdische Mitbürger, welche im Jahr 1938 zwischen sechs und 14 Jahren alt gewesen waren, einzurichten. 

 

1998 wurde von der österreichischen Regierung ein Kunstrückgabegesetz, eingerichtet beim Denkmalamt, initiiert, um eine korrekte Restitution zu ermöglichen. Ich stelle fest, dass es sich hier um reine Symbolpolitik handelte, da die Kommission nur nach endlosen Debatten Empfehlungen aussprechen konnte, weil zur Entscheidung nur der Unterrichtsminister zuständig war. Es handelte sich um das übliche Feigenblatt, erst vor einigen Jahren wurde diese Vorgangsweise im Justizbereich kopiert, wobei dessen Mitglieder vom Justizminister ernannt werden und zumindest im Zweifelsfall ihre Dankesschuld abliefern. Auch damals hatten die ihres Vermögens Beraubten keine Parteistellung, also kein wie immer geartetes Mitwirkungsrecht. 

 

Das Bundesdenkmalamt vermied auch nur die geringsten Bemühungen, die ehemaligen Eigentümer zu eruieren; auf der Rückseite vieler Gemälde las man die Namen der jüdischen Eigentümer und auch die sichergestellten Kunstobjekte veranlassten die Beamten nicht, nach den jüdischen Vorbesitzern zu forschen. Erst 1995 wurden jene Kunstwerke der israelitischen Kultusgemeinde übereignet und nach einer Auktion der Erlös an Holocaust-Geschädigte überwiesen, ohne die ehemaligen wahren Eigentümer auszuforschen. 

 

Die entnazifizierten Beamten erwiesen sich als willfährige Helfer der Politik, deren Vertreter noch jahrzehntelang behaupteten, Österreich sei ein Opfer des Nazi-Regimes gewesen. 

 

Der Autor stellt nach weitwendigen Notationen zur Diskussion: Handelt es sich bei dem Werk „Kardinal und Hure“ überhaupt um Raubkunst? Hat Obrowsky das Werk rechtmäßig erworben, wer war berechtigt, das Werk an Dritte zu veräußern? Sollte Obrowsky das Werk von einem Nicht-Legitimierten erworben haben, dann ist er nicht redlicher Eigentümer dieses Werkes geworden. Fand zu Lebzeiten von Edmund Schwarz kein regulärer Verkauf statt, dann fiele das Werk in die Verlassenschaft nach Edmund Schwarz. Da dieser kein Testament verfasst und keine gesetzlichen Erben hatte, würde die gesamte Verlassenschaft inklusive „Kardinal und Hure“ an die Republik Österreich fallen. Diese hätte daher zu Recht an den Rechtsanwalt Hammer verkauft. Die Antworten auf diese Fragen lässt der Autor offen. 

Da die historischen Personen von Ressler mit fiktiven Namen versehen worden waren, scheint es mir dennoch zumindest für Insider leicht, die wahren Namen zu enttarnen und für alle anderen Leser bleibt es reizvoll. 

 

Als von der Erzählung des Autors faszinierter Rezensent fasse ich zusammen, dass auch in Sachen Kunstraub die Verbrechen der NS-Zeit nicht anders als singulär zu werten sind. Die Verwerfungen blieben nach 1945 vielfach bestehen, und bei den in der Kunstrückgabe involvierten Behörden waren vor allem infolge zahlreicher personeller Kontinuitäten keine generellen Bruchlinien zu erkennen. Graduelle Verbesserungen sind nicht von der Hand zu weisen, es kann aber resümierend kein anderer Schluss gezogen werden, als dass die Verfahrensgerechtigkeit auch nach 1945 eines Rechtsstaates nicht würdig war. Erst mit der Ausbildung einer genuin österreichischen Identität im Räderwerk der Republik und insbesondere der sich ändernden gesellschaftlichen Gesamtsicht auf Kunstraub und (Nicht)Rückgabe um die Jahrtausendwende ist es zu partiellen Verbesserungen gekommen. Diesen Bogen so anschaulich gespannt zu haben, ist eine anzuerkennende Leistung, die Ressler mit diesem Werk gelungen ist. 

 

Nikolaus Lehner